In separaten Zimmern schlafen: Liebes-Aus oder echte Liebe? Viele geben dem Romantikfaktor den Vorrang – und nehmen
Schlafeinbussen in Kauf.
Ein gemeines Bett mit gemeinsamerDecke, zwei Kissennebeneinander.Auf jeder Seite dasselbe Nachttischlämpchen und dieselben
Nachttischchen: Das gemeinsame Schlafzimmer ist die Inszenierung der vermeintlich perfekten Liebesidylle, der äussere Spiegel innerer Verschmelzung.
Doch dieses idyllische Bild hat Risse. So enttäuschten Angelina Jolie und Brad Pitt, lange als Traumpaar gefeiert, romantische Seelen, als sie erklärten,
sie würden getrennt schlafen.
Getrennt schlafen scheint massentauglich zu werden, auch in der Schweiz. Eine Menge spricht dafür, stören sich doch
die meisten in derNacht, weil sie Unruhe verbreiten: Sie schnarchen, zappeln, stehen mehrmals auf, sprechen, schreien im Schlaf. Oder sie kommen sich
durch unterschiedliche Schlafrhythmen in die Quere, weil der eine früh aufstehen muss, während der andere erst spät schlafen geht. Andere Paare streiten
in der Nacht um die Decke. Oder der Mann will ein offenes Fenster und wird gerne vom Tageslicht geweckt, während die Frau in Wärme und Dunkelheit
nächtigen will. Fürs getrennte Schlafen spricht auch, dass nur eine Person gestört wird, wenn die andere sich ums schreiende Baby kümmert.
Dann die Haustierfrage: Der eine Partner kann nicht ohne Katze schlafen, für den anderen ist das ein hygienisches No-Go.
(Zu viel) Nähe
«Manchmal,zum Beispiel wenn einer der Partner schnarcht», erläutert Paartherapeutin Joëlle Gut, die auch in Biel eine Praxis
führt, «ist es eine rationale Entscheidung, die Nacht getrennt zu verbringen, weil sonst einer der Beiden nie zur Ruhe kommt.» Das müsse nicht
bedeuten, dass das Paar keine Nähe mehr lebe: «Diese Nähe kann in einer herzlichen und emotional abgestimmten Beziehung anderweitig kompensiert werden.»
Vereinzelt gebe es nämlich Paare, die sich ab und zu gegenseitig in ihren Gemächern besuchen. «Sie beschreiben das als sehr aufregend, da es ihnen mehr
Raum für Spontaneität lässt.»
Auf offene Ohren stösst sie damit bei einer Diskussionsteilnehmerin auf der Online-Plattform talkteria.de: Nähe sei
zwar gut und schön, «aber sie kann auch einfach zu viel werden. Wenn noch jemand in meinem Bett liegt, kann ich nicht erholsam schlafen.» Es sei
kleinkariert, automatisch davon auszugehen, dass dann mit der Beziehung etwas nicht stimme. «Manmuss ja nicht jede Nacht getrennt verbringen, nur weil
man die Möglichkeit dazu hat.»
Für viele aber sind Trennungen für die Nacht genau das: ein Zeichen dafür, dass etwas nicht im Lot ist. «Das käme
für uns nicht in Frage», schreibt eine Userin auf derselben Website. «Wenn ich das meinem Freund vorschlagen würde, würde er sich vermutlich sogar
gekränkt fühlen.» Andere geben zwar zu, alleine besser zu schlafen, gewichten das Kuschelpotenzial jedoch höher als den perfekten Schlaf.
Ein gemeinsames Schlafzimmer gehöre doch zum gemeinsamen Leben, «alleine der Romantik wegen», ereifert sich eine weitere Diskussionsteilnehmerin
und folgert: «Getrennte Schlafzimmer sind schlecht für Lust, Liebe und Harmonie.»
Kuschelhormon
Der dauerhafte Auszug aus dem Schlafzimmer werde häufig als Entfremdung empfunden, bestätigt Joëlle Gut. Oft sei dies
tatsächlich ein Zeichen dafür, dass sich ein Paar auseinanderlebe, allenfalls verbunden mit einem sexuellen Problem. Denn nächtliches Beieinandersein
schaffe emotionale Nähe, die wichtig sei. Sie verweist auf hormonelle Abläufe: Bei Zärtlichkeiten und beim Liebemachen werde Oxytocin ausgeschüttet.
Dieser Stoff – als Kuschelhormon bekannt – verstärke und stabilisiere die Bindung. «Gerade in unserer Gesellschaft, in welcher die Berührungskultur
immer mehr zerfällt und sich auf Internet und Handy verlagert, ist die beziehungsbasierte Nähe und Geborgenheit immer wichtiger.»
Wer im gemeinsamen Bett schlecht schläft, kann sich immerhin damit trösten: Menschen gewöhnen sich aneinander – (auch) im Schlaf.
Quelle: Bieler Tagblatt / Autor: Marcel Friedli 19 Juli 2012