Pünktlich vor Weihnachten stellt sich eine instabile Westwind-Wetterlage ein: Aus weissen Weihnachten wird wohl nichts. Vorbei ist
es mit den ungewöhnlich vielen Sonnenstunden, die manche Winterdepression verhindert haben – vorläufig.
Wenn das Wetter lange schön ist, nimmt man das für selbstverständlich. So wie in den letzten drei Wochen. Heute merken es alle:
Eigentlich ist es nicht normal, dass die Sonne im Dezember so oft scheint. Die Stadt Bern hat diesbezüglich gar einen Rekord erlebt: Bis gestern
Mittag schien die Sonne 93,7 Stunden. Vergleicht man das mit dem Normwert, der auf der Referenzperiode von 1981 bis 2010 basiert, so ist das fast
doppelt so viel wie üblich. Eine solche Situation gab es letztmals vor 54 Jahren. So tauchte bereits der Begriff «Sonnenstube» auf, der üblicherweise
nicht für die Stadt Bern, sondern eher für das Wallis oder das Tessin verwendet wird.
Karussell mit feuchter Luft
Sein sonniges Gemüt hat der Winter gestern zum letzten Mal gezeigt – vorerst. Heute erreicht die Schweiz eine Störung, die von einem
Island-Tief ausgeht, wie Manuela Brunner, Geografin bei Meteotest in Bern, erklärt. Damit gehe eine «stabile Hochdrucklage, die mit einer Inversion
verbunden ist, zu Ende». Bei Inversion liegt die kalte Luft in den Tälern wie in einer Badewanne. Dadurch ist es in tiefen Lagen sehr kalt, während auf
den Bergen milde Temperaturen herrschen. Jetzt, wo das Island-Tief für die Schweiz wetterwirksam wird, befinden wir uns gewissermassen am Rand eines
Karussells. Das Tief sorgt dafür, dass die Luft aus Südwesten durch die Schweiz bläst und die kalte Luft zwischen Juraund Alpenkette wegbläst. Was jetzt
folgt, ist eine Kaltfront. Der Ausdruck sei aber etwas irreführend, sagt Brunner. «Mit den heute früh gemessenen circa minus zwei Grad Celsius ist es
bei weitem nicht so kalt wie in den letzten Wochen.»
Sonne als Antidepressivum
Wenn die Tage immer kürzer werden, schlägt das manchen Menschen aufs Gemüt, besonders dann, wenn die Sonne wegen des Nebels selten
zu sehen ist. Sie fühlen sich müde und schläfrig, sind lustlos, können sich für nichts motivieren. Daran sei das Melatonin schuld, sagt die Berner
Psychologin Joëlle Gut-Lützelschwab. Dieses Hormon werde im Winterhalbjahr während des Schlafs in höheren Dosen ausgeschüttet, oft sogar in einer
regelrechten Überdosis. Melatonin steuert den Schlaf-Wach-Rhythmus. Es wird darum manchmal auch Patienten verabreicht, die Schlafprobleme haben. Manche
Reisende nehmen es ebenfalls, damit sie im Flugzeug trotz Jetlags schlafen können. Wenn der Körper im Herbst Mühe hat, sich an die kürzeren Tage zu
gewöhnen, kann es laut Joëlle Gut-Lützelschwab zu einem Teufelskreis kommen: «Menschen fehlt der Antrieb und die Lust, hinauszugehen und Sonnenlicht aufzunehmen.»
Das ist schade, denn Bewegung an der Sonne würde die Ausschüttung des Melatonins vermindern. Weil das aber nicht geschieht, verstärkt sich die
Ausschüttung des einschläfernden Stoffs und damit auch die depressive Verstimmung.
Die lange Schönwetter-Phase in Bern hat dieses Problem offenbar
entschärft. Joëlle Gut-Lützelschwab, welche Praxisstandorte in Bern, Biel und Solothurn betreibt, fällt das auf: «Jetzt, so Sie es sagen, merke ich,
dass in letzter Zeit in Bern kaum Anmeldungen wegen Winterdepressionen eingegangen sind.» Das könnte sich jetzt ändern.
Schneeflöckchen in TV-Werbung
Glaubt man der Fernsehwerbung, schneit es an Heiligabend während der Bescherung immer. Meteo Schweiz, die offizielle Wetterbehörde,
muss diese hartnäckigen Erwartungen so sanft wie möglich zerstören. Voller Verständnis formulieren die amtlichen Meteorologen: «Die Festtage möchte
man als Belohnung für die entbehrungsreiche und stressige Adventszeit im Kreise der Seinen in stimmiger Harmonie verbringen – und dazu gehört natürlich
auch das passende Ambiente – mit dick verschneiten Hausdächern, Wiesen und Tannenbäumen». Die nüchternen Wetterpropheten können sich aber das Lachen
fast nicht verkneifen, wissen sie doch ebenso «wie der geneigte Leser unserer Seiten», dass sich «Frau Holle gerade an Weihnachten (im Flachland) nur
selten zum Schneien erweichen lässt». Viel eher sei das «berühmt-berüchtigte Weihnachts-Tauwetter Programm.» Dieses sei eine sogenannte Singularität:
eine Wetterlage, die mit überdurchschnittlicher Wahrscheinlichkeit zu bestimmten Zeiten auftrete, so Meteo Schweiz.
«Niederschlag in flüssiger Form»
Schonend macht Meteo Schweiz Herrn und Frau Schweizer mit der Tatsache bekannt, dass zwar «die definitive Zugbahn» und das Timing
der «kräftigen Tiefdruckgebiete» noch mit Unsicherheiten behaftet seien. Bei milder Westoder Südwestlage im Alpenraum muss man aber laut Meteo Schweiz
da und dort mit «Niederschlag in flüssiger Form» gerechnet werden. Damit ist definitiv nicht flockiger Schnee gemeint.
Quelle: Der Bund / Autor: Markus Dütschler 19 Dezember 2013